Die Oldenburger Gesellschaft der Ährenleser – Towarzystwo Pokłośnicze w Oldenburgu
Der Begriff „Ährenlese“ (auch Nachlese) bezieht sich traditionell auf die Praxis, nach der Ernte das auf dem Feld liegengebliebene Getreide aufzusammeln und an Bedürftige zu verteilen. Der Akt der Nachlese war seit biblischen Zeiten bis ins 18. Jahrhundert üblich. Er war eine ebenso einfallsreiche wie existentielle Überlebensstrategie besonders für Menschen, die von den aufkommenden Kräften des Kapitalismus marginalisiert wurden: Witwen und Waisen, Arme und Enteignete, neu Angekommene und Vertriebene. Die Oldenburger Gesellschaft der Ährenleser wird kuratiert von Sebastian Cichocki. Die Ausstellung beruht auf seinen Erfahrungen als Kurator der 40. EVA International, Irlands Biennale für zeitgenössische Kunst, und erweitert die Idee der „Nachlese“, die hier wahlweise als Gegenstand künstlerischer Arbeit, als Metapher oder als kuratorische Methode dient.
Künstlerische Praktiken, die auf wachstumskritischen Philosophien beruhen – die sich auf alltägliche Arbeiten, das Unheroische und Unspektakuläre konzentrieren und nicht unbedingt materiell greifbare Kunstwerke produzieren –, entgehen oft der institutionellen Aufmerksamkeit. Anders gesagt, verlassen sie – auf eigene Initiative oder aus Notwendigkeit – die Kunstwelt und landen auf anderen Feldern: beim politischen Aktivismus, bei Protestbewegungen, in der Pädagogik oder bei der experimentellen Landwirtschaft. Die Ausstellung in Oldenburg ist inspiriert von der Arbeit der irischen Künstlerin und Schäferin Orla Barry und bewegt sich auf der Suche nach einer „postidyllischen“ künstlerischen Praxis fließend zwischen Bauernhof und Kunstinstitution.
Die Oldenburger Gesellschaft der Ährenlesergreift auch die Schriften des polnischen Theoretikers und Kunstkritikers Jerzy Ludwiński auf, der in den 1970er Jahren davon ausging, dass wir in einem „postkünstlerischen Zeitalter“ leben. Ludwiński betonte den engen, „osmotischen“ Austausch zwischen Kunst und anderen Disziplinen. Er vertrat die These, dass die neue Kunst die Grenzen der Sprache und des ihr zur Verfügung stehenden institutionellen Apparats überwunden habe. So schrieb er 1971: „Sehr wahrscheinlich haben wir es heute nicht mehr mit Kunst zu tun. Wir haben einfach den Moment übersehen, in dem die Kunst zu etwas ganz Anderem wurde, zu etwas, wofür uns die Begriffe fehlen. Doch eines ist sicher: Wir beschäftigen uns heute mit etwas, das ein größeres Potenzial hat.“
Mit Werken von: Orla Barry, Kim Beom, Kasper Bosmans, Jeamin Cha, Mitsutoshi Hanaga, Tamás Kaszás, Krisztián Kristóf, and The Randomroutines, Eustachy Kossakowski, Sharon Lockhart, Deirdre O’Mahony, Peter Nadin & Natsuko Uchino & Aimée Toledano, Rory Pilgrim, Iza Tarasewicz, Natsuko Uchino, Jennifer Walshe.
Kuratiert von Sebastian Cichocki, Chefkurator des Museums für Moderne Kunst, Warschau.