Tai-Wei Kan - I twitter, therefore I am (Life-Twitter)
Veranstaltungsraum des Edith-Ruß-Hauses
Ausstellung vom 15. bis 20. März 2011
Tai-Wei Kan, neuer Stipendiat im Austauschstipendium des Edith-Ruß-Hauses mit dem Digital Art Center, Taipei
Soziale Netzwerke im Internet wie Facebook oder Twitter werden täglich bekannter und beliebter. Viele Menschen nutzen diese Services, um ihre Aktivitäten immer und überall mit Freunden zu teilen. Auf der anderen Seite sind mobile Kommunikationsgeräte nach wie vor nicht ausreichend, um die angestrebte dauerhafte Vernetzung tatsächlich zu ermöglichen. Der taiwanesische Künstler Tai-Wei Kan nimmt diese Diskrepanz zwischen virtuellem Anspruch und der technischen Realität zum Anlass, mit seinem Werk I Twitter, Therefore I Am eine Situation zu schaffen, in der man automatisch jede Aktivität an die eigene Gemeinde im sozialen Netzwerk von Twitter weitergibt.
Dazu rüstet er alltägliche Gebrauchsgegenstände wie Kaffeetassen oder Hausschuhe mit elektronischen Sensoren aus, die über drahtlose Funkverbindungen mit Computern kommunizieren, so dass deren System das Verhalten des Benutzers dieser Situation erkennt. Dadurch kann das Computersystem an das soziale Netzwerk im Internet „twittern“, was man gerade tut. Schaltet man zum Beispiel das Licht aus, erscheint möglicherweise automatisch die Nachricht „Ich gehe ins Bett, gute Nacht.“ Oder das System schickt die Nachricht „Ich bin so durstig, ich trinke erstmal einen Kaffee.“, wenn man eine Tasse hält.
In der Ausstellungsituation können Teilnehmer ihr aktuelles Verhalten mit Freunden weltweit teilen, indem sie die vernetzten Gegenstände und Möbelstücke benutzen. Auf der anderen Seite kann man als Twitternutzer Tai-Wei Kans Life Twitter als Freund auf der eigenen Twitterseite hinzufügen und dann jede Aktion im Ausstellungsraum jederzeit und überall abrufen und überwachen.
Die ironische Setzung, jede alltägliche Handlung als mitteilenswert zu konfigurieren, verweist auf die steigende Bereitschaft, sich selbst im Internet darzustellen, und auf die Zunahme irrelevanter privater Details, die der Welt mitgeteilt werden. Zugleich reflektiert die Installation über die Vision einer technisierten Zukunft, die eine totale Überwachung auch gegen den Willen der Nutzer ermöglicht. Dies erscheint nicht mehr besonders utopisch angesichts von Fernsehformaten wie Big Brother sowie der Beliebtheit sozialer Netzwerke und der hohen Bereitschaft, die Grenze zwischen „privat“ und „öffentlich“ selbstständig zu verschieben. Im Gegensatz zu einem diktatorischen Regime oder einem abstrakten „System“ übernehmen in diesem Fall dieselben Leute die Überwachung, die auch überwacht werden.
Tai-Wei Kans Kunstwerk, das er während seines Stipendienaufenthalts am Edith-Ruß-Haus für Medienkunst umsetzen wird, verweist darauf, dass soziale Netzwerke wie Twitter nicht nur Kommunikationsformen sondern auch Lebensweisen verändern und neben breiterer sozialer und politischer Teilhabe auch den Boden für gefährliche Strukturen bereiten, die gerade erst langsam von einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen und erkannt werden.